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Raus auf's Spielfeld

Micro-Mediation zur Stärkung der interpersonellen Resilienz

Gleichzeitig steigende Diversität und Fachkräftemangel sowie der zunehmende Abbau von Hierarchien mit eigenverantwortlichen Teams erhöhen den Druck auf Mitarbeitende und Führungskräfte sowie im gleichen Atemzug das Konfliktpotenzial im Arbeitsumfeld. Persönliche Resilienz spielt entsprechend eine immer wichtigere Rolle. Die Autoren greifen die Grundmechanismen der Mediation auf und entwickeln nachfolgend einen systematischen Ansatz zur Bearbeitung korrosiver Interaktionen.

Karsten Engler, Daniel Veith

Konflikte, Mikroaggressionen und ungeklärte Unstimmigkeiten zwischen zwei Mitarbeitenden stören ein Arbeitsumfeld empfindlich in der Produktivität – so wie unterschiedliche Einschätzungen einer Spielsituation zwischen Teamkameraden im Fußballspiel. Organisationen haben dabei weder Zeit noch oftmals die Bereitschaft, in jedem dieser Fälle einer gestörten Interaktion eine formelle Mediation durchzuführen. Zu verhindern ist jedoch, dass aus der gestörten eine korrosive Interaktion mit negativen Ausstrahlungseffekten wird. Dabei ist es nur konsequent im Sinne der Befähigung der einzelnen Mitarbeiter, die Verantwortung und Fähigkeiten zur Auflösung von Probleminteraktionen bei jedem einzelnen („Micro-Mediation“) zu verankern.
Vorab noch ein Hinweis: Es gibt keine einseitigen Konflikte. Hier soll für die Betrachtung die Sicht desjenigen gewählt werden, der an der Situation etwas ändern möchte – sozusagen der „Lösungsinitiator“, dem der „Reibungspartner“ gegenübersteht.

Vermittelndes Handeln als moderne Technik des Miteinander

Mediation als Technik beinhaltet nicht nur ein Gesprächsvorgehen, sondern auch eine Vielzahl von Ansätzen, die sich für die Arbeit mit gestörten Interaktionen zwischen zwei Mitarbeitenden nutzen lässt. Dazu zählen insbesondere die Arbeit mit Emotionen, Interessen und die Reflektionen im Rahmen von Einzelgesprächen.

Im Kern setzt Mediation auf drei Kernprinzipien als Interaktionsschlüssel: Empathie, Klarheit und Bestimmtheit. Es geht zunächst darum, die Emotionen bei den Beteiligten zu erkennen und zu bearbeiten sowie die entsprechenden Wahrnehmungen bewusst zu machen, anzuerkennen und zu reflektieren. Klärungsthemen sowie Interessen sind dann klar zu formulieren und – unterstützt durch den Mediator – bestimmt zu vertreten, um auf dieser Grundlage eine Lösung herbeizuführen.
Wie lassen sich die o.g. Mechanismen nun konkret für die tägliche Interaktion nutzen? Im Kern schlagen wir vier Hebel vor, die in entsprechender Abfolge stattfinden sollten: i. Nutzung der Kamera-Perspektive, ii. Anpassung der eigenen Aufstellung, iii. Neueinbettung der eigenen Rolle und iv. Gemeinsamer Neuaufsatz der Spielzüge mit dem Reibungspartner. Hinter den 4 Hebeln liegen je 4 Ansatzpunkte bzw. wiederum 4 konkrete Handlungsoptionen. In Summe ergeben sich 64 konkrete Punkte eines Handlungspfades, die unproduktive Situation zu verbessern.

Präzisieren für Klarheit: Die „Videoanalyse“ nutzen

Niemand ist ohne Emotionen in der täglichen Interaktion. Dies führt dazu, dass die Wahrnehmung des tatsächlichen Sachverhalts und Verhaltens stark subjektiv geprägt ist. Abgeleitet aus der Bestandsaufnahme im Meditationsverfahren bzw. analog der seit vielen Jahren genutzten Video-Analyse des Team-Spiels beim Fußball braucht es zunächst eine neutrale Sicht („Kamera-Perspektive“). Diese „Bildanalyse“ beinhaltet die Präzisierung des als problematisch empfundenen Verhaltens, eine Prüfung auf Einmaligkeit oder Mustercharakter, eine Differenzierung zwischen persönlichem Störgefühl oder Behinderung der Arbeit sowie eine Prüfung auf konkrete Auslöser. Eine sinnvolle Analyse umfasst ebenso den Gesamtkontext des Miteinander– sozusagen ein Schritt zurück mit Blick ins organisationsspezifische Regelbuch zu „Spielaufstellung“ und -ablauf sowie eine „Individual-Analyse“ der Dynamik: Wie sehen die „Spielregeln“ der Organisation aus? Wird entsprechendes Verhalten geduldet oder sogar gefördert?
Hinzu sollte die Betrachtung des Verhaltens des Reibungspartners aus einer neutralen, unvoreinge-nommenen Sicht kommen. Die „Fiktive Auswechslung“, d.h. die Frage, ob das gleiche Störgefühl auch bei einer anderen Person besteht, ist häufig sehr erkenntnisreich, da sie Bias eliminiert.
Wichtig ist auch die Analyse der Konfliktdynamik: Wie sieht die Situation aus Sicht des Reibungspartners aus und was sind seine tieferliegenden Handlungsmotive? Was ist der Beitrag des „Betroffenen“ zur Dynamik? Öfter als zunächst gedacht sind zudem Dritte – zumindest als Beobachter – relevant.

Empathie: Drei Motive am häufigsten relevant

Bei der Ermittlung von Interessen und Handlungsmotiven hat sich die Unterscheidung von 9 Kernhandlungsmotiven bewährt (Basis: Leitwerte nach Adrian Schweizer, Ponschab / Schweizer 2004: 196). Die Erfahrung zeigt, dass im Zusammenhang mit gestörten Interaktionen die in Abbildung 1 im inneren Bereich dargestellten Motive deutlich häufiger relevant sind, als die außenliegenden. Konkret: Fehlende Anerkennung ist häufig ein Kerntreiber für Aggressions- und Konfliktdynamik. Hinzu treten oftmals weitere Elemente wie Sicherheit im Fall von Menschen, die z.B. als Micro-Manager agieren bzw. Wirksamkeit oder Intensität für Teammitglieder, die sich passiv-aggressiv bzw. sehr fordernd oder gar aggressiv verhalten.
Diese Erkenntnisse helfen die Konfliktdynamik pragmatisch zu verstehen. Im Kern geht es dann darum, zur Wiedergewinnung eines Zugangs zum anderem Menschen genau diese Bedürfnisse anzuerkennen und auf Grundlage dieses „Einklangs“ für beide Seiten hilfreiche Lösungen zu finden.

Handeln: Klare Spielstrategie als Handlungsmotivation

Im formellen Mediationsprozess sorgt der Mediator dafür, dass alle Interessen im klar definierten Prozess benannt und berücksichtigt werden. Dies ist umso bedeutender als fehlende Konfliktlösungskompetenz und Tendenz zur Konfliktvermeidung sehr weit verbreitet sind.

Konkrete Ansatzpunkte und eine klare Handlungsstrategie helfen entsprechend, auch ohne Mediator Handlungsfähigkeit zu erhöhen. Solche sind in Abbildung 2 für die Micro-Mediation überblicksartig dargestellt. Die Maßnahmen wurden dabei nach Tiefe und Eingriffsintensität angeordnet. Deutlich erkennbar: bereits ohne Einbindung des Reibungspartners lässt sich als Betroffener eigenverantwortlich Vieles tun, um die Zusammenarbeit zu verbessern.

Eigene Wahrnehmungen und Handlungen anpassen

In aller Regel laufen Reaktionsmuster beim Betroffenen wie von selbst ab. Im formellen Mediationsverfahren ist es die Aufgabe des Mediators, die damit verbundenen Emotionen zu bearbeiten und die Reflexion anzustoßen. Für den Betroffenen empfiehlt sich in der Micro-Mediation daher zunächst die Hinterfragung der eigenen mentalen Logik („Update Spielhaltung“) sowie die Prüfung des eigenen aktiven und reaktiven Verhaltens („Manndeckung“ und „Raumdeckung“), ggf. ergänzt um eine weitergehende eigene persönliche Entwicklung (vgl. Abbildung 2, II).

Besonders wichtig für den Betreffenden ist es im ersten Schritt, zu akzeptieren, dass die andere Person im Vergleich zu ihm selbst sehr unterschiedliche Denk-, Emotions- und Verhaltensmuster besitzt – und dies auch prinzipiell in Ordnung ist. Hinzu kommt die Überzeugung, dass der Reibungspartner in aller Regel aufgrund spezifischer, grundsätzlich berechtigter Interessen handelt – und vor allem die Umsetzung ihm nicht umfeldgerecht gelingt, er aber in der Regel nicht bewusst schädigend auftritt.

Eigene Rolle neu einbetten

Der formelle Mediationsprozess ist im Kern der Lösungsentwicklung zweiseitig. Bei der Micro-Mediation lässt sich jedoch auch einseitig Interaktion gestalten. Dies beinhaltet sowohl das Management des individuellen Kontakts bezogen auf Themen oder Strukturen („Ballannahme optimieren“) als auch die Einbindung des Teams bzw. die weitere Gestaltung des Team-Umfelds, z.B. in Form von Teamregeln oder der emotionalen Stärkung des Betroffenen. Erst ultimativ tritt im Verlauf z.B. die Einbindung der Führungskraft als Spielführer als Person am Spielfeldrand hinzu.

Gemeinsam die Spielzüge neu aufsetzen als „ultima Ratio“

Erfahrungsgemäß lassen sich die meisten gestörten Interaktionen bereits mit den geschilderten Ansatzpunkten lösen, d.h. es bedarf keiner direkten Einbindung des Reibungspartners. Sollte dies dennoch notwendig oder gewünscht sein, benötigt es nicht automatisch einer formellen Mediation. Aufbauend auf der Erfahrung, dass häufig ein konkretes Verhalten nur eine ungeeignete Verfolgungsweise eines berechtigten Interesses ist, bewirkt häufig ein Feedback zu der Wirkung des Verhaltens („konstruktive Verwarnung“) bereits ein Umdenken. Diese Spiegelung der Verhaltenswirkung entspricht der Phase des gegenseitigen Verständnisses der formellen Mediation.

Die Veränderung des Einsatzes des Reibungspartners (oder des Lösungsinitiators) hingegen – also die Anpassung der „Spieleraufstellung“ – sollte nur die ultimativer Maßnahme als Akutlösung sein, da Verhaltensweisen dadurch nicht geändert werden, sondern sich Konflikte eher innerhalb der Organisation verschieben. Davor steht bei erfolglosem Feedback daher eine individuelle Weiterentwicklung des Reibungspartners bzw. eine gemeinsame Mediation, in der beide Beteiligten auf Augenhöhe sprechen („zwei gelbe Karten bearbeiten“). Eine Verbindung von individueller Weiterentwicklung und gemeinsame Mediation ist insbesondere bei hochemotionalen Konflikten wichtig.

Führungskraft als Facilitator

Der modernen Führungskraft kommt insbesondere als Beziehungs-Manager in der Steuerung des Dreiklangs aus Qualität, Effizienz und Beziehungen eine wichtige Rolle zu. Die skizzierte Systematik ist dabei ein Ausgangspunkt, die Rollenverteilung von Führungskraft und Mitarbeiter neu zu gestalten – insbesondere in Richtung einer Mitarbeitenden-Befähigung. Die Führungskraft sollte insbesondere ein konstruktiv-achtsames Klima schaffen, das den „Weg der 64 Schritte“ fördert und ein „Stagnieren“ mitten auf der Strecke verhindert. Empathie seitens der Führung hilft zudem, Ursachen für gestörte Interaktionen besser zu erkennen und dort wo erforderlich, Lösungen zu begleiten.

1 Mikroagressionen: hier verstanden als subtiles, übergriffiges Verhalten – häufig in Form von Kommunikation
2 Zur Vereinfachung der Lesbarkeit wird – stellvertretend für alle Geschlechter – im Artikel die männliche Form verwendet

Schlagworte
Konflikt am Arbeitsplatz, Mikroaggression, Miteinander, Mediation, Konfliktlösung, Korrosive Interaktion, Einseitige Konfliktlösung, Konfliktbearbeitung, Diversität, Diversitätskompetenz, Führung im Konflikt

Keywords
Conflict in the workplace, microaggression, cooperation, mediation, conflict resolution, corrosive interaction, one-sided conflict resolution, conflict management, diversity, diversity competence, leadership in conflict