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Umgang mit "schwierigen" Gegenübern

Raus aufs Feld

Schon wenn zwei Menschen sich begegnen besteht Diversität – in Gedanken, Erfahrungen und Pespektiven. In Teams bringt das fast automatisch Reibung mit sich. Ein Ansatz für einen gelungenen Umgang mit dem „schwierigen Gegenüber“.

Karsten Engler, Daniel Veith

Vielfalt fängt an, wenn sich zwei Menschen begegnen. Unterschiedliche soziale Prägungen, Haltungen und Überzeugungen prallen aufeinander. Infolgedessen unterscheiden sich Verhalten, Wahrnehmung und Interpretation von Dingen bei beiden grundsätzlich. Dieser Faktor der Diversität macht Diskussionen vielfältiger und kann Lösungsfindung befruchten. Daher ist die Förderung von Vielfalt in Unternehmen und in der Diskussion nicht nur eine Frage von Ethik, sondern auch eine Frage der Intelligenz.

Modernes Arbeiten überfordert Intuition

Mit Vielfalt muss gleichzeitig gezielt umgegangen werden. Fallen historische Steuerungsmechanismen wie enge direkte Führung oder starre Regeln und Vorgaben weg, tritt an deren Stelle i.d.R. die Selbstverantwortung eines Teams. Hier allein auf die Intuition zu setzen, führt häufig jedoch in die Irre.

Andersartigkeit wurde in der Entwicklungsgeschichte des Menschen zwecks Überleben tendenziell eher als eine Gefahr anstatt als eine Bereicherung eingestuft bzw. war ein kognitiver Aufwand, der aus Gründen der Energieeffizienz häufig vermieden wurde. Der systematische Umgang damit wurde in der Generation der heute Berufstätigen häufig zudem eher nicht vermittelt. Daher sind die eher archaischen Strategien von Ignorieren, Gegendruck oder „Ansage“ als Führungskraft oftmals immer noch deutlich präsent – entsprechend der entwicklungsgeschichtlichen Kernreaktionen Flucht, Angriff und Verstecken.

Das Ergebnis: über ein Viertel der Arbeitnehmer geben an, dass sie das Verhalten von Kollegen als Hauptstressor im Beruf wahrnehmen. Gleichzeitig verbringen Führungskräfte bis zu 20 Stunden pro Woche mit Konflikten und deren Folgen. Hierbei zeigen Studien, dass bei circa 2/3 der von negativ empfundenen Interaktion betroffenen Mitarbeitern die eigene Leistung und bei über 3/4 das Commitment zur Organisation sinkt [Studie Pronova BKK, Arbeiten 2023; Christine L Porath: The Cost of Bad Behaviour, 2010].

Neue Strategie entscheidend

Aus der Erfahrung von Führung, Mediation und Konflikt-Coaching lassen sich zwei grundsätzliche Strategien zum Umgang mit vermeintlich „schwierigen“ Anderen unterscheiden:
* Ich-bezogene Strategien, die sich nicht genauer mit dem Anderen oder der „problematischen“ Interaktion befassen („Turmstrategien“) und
* Strategien die sich mit der vermeintlich „schwierigen“ Person und der gestörten Interaktion aktiv auseinandersetzen („ Feldstrategien“).

Abbildung 1 zeigt die Hauptelemente dieser beiden Strategien: Auf gefühlt druckvolles oder unangenehmes Verhalten mit Gegendruck, Ignorieren oder Anweisung zu reagieren wird hier als Turmstrategie bezeichnet. Dem gegenüber stehen vier Kernansätze der Feldstrategie, und zwar eine neutrale Bestandsaufnahme („Kamera-Perspektive“), Überdenken des eigenen Handels, Gestaltung von Rahmenbedingungen und schlussendlich eine gemeinsame (Neu-)Gestaltung der Interaktion mit der anderen Person.

Drei Organisationstypen: Verdrängung, Eskalation, Interaktion

Unsere Erfahrung zeigt, dass für die Charakterisierung von Teams und Organisationen die Unterscheidung von 3 Basistypen hilfreich ist. Der Status Quo in der Praxis ist dann stets eine Mischung daraus – mit unterschiedlichen Schwerpunkten.
Eine Kultur der Verdrängung von Konflikt und Dissens zeichnet sich vor allem durch einseitigen Gegendruck, Ignorieren oder Anweisung aus. Häufig hört man in solchen „Verdrängungs-Organisationen“ Aussagen wie „Wir haben keine Konflikte“.

Dem gegenüber steht die „Eskalations-Organisation“. Dort werden Konflikte nicht zwischen den betroffenen Personen besprochen, sondern sehr schnell durch die Einbeziehung übergeordneter Führungskräfte entschieden. Störungen in der Interaktion werden zudem durch die schnelle, dauerhafte Beendigung der Interaktionssituation, z.B. durch Versetzung, beseitigt.
Der dritte Basistyp greift die Idee der Feldstrategie auf. In der „Interaktionsorganisation“ beschäftigen sich die Mitarbeitenden mit dem Kern der Interaktion und der anderen Person und verfügen über die Fähigkeiten, Kontroversen oder Reibung aufzulösen, bzw. inhaltlich produktiv zu nutzen.

Mehr eigene Handlungsfähigkeit als gedacht

Die vier oben genannten Kernansätze der Feldstrategie stehen in einem groben zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang. Die Kamera-Perspektive der Phase I ist die Grundlage für die Bearbeitung von als gestört empfundenen Interaktionen. Auf dieser Grundlage lassen sich eine Vielzahl weiterer Strategien bereits ohne die Einbindung des Interaktionspartners realisieren. Diese Strategien sind Teil der Gestaltung des eigenen Agierens und des Kontextes, z.B. des Teams (Ansätze II und III).

Inwieweit Maßnahmen aus diesen beiden Ansätzen im Zusammenspiel oder im Vorfeld der Arbeit gemeinsam mit dem Gegenüber (IV) stattfinden, hängt sehr stark vom jeweiligen Kontext ab. Bei einer offenen Feedbackkultur ist die Gestaltung des eigenen Verhaltens gut mit dem Einsatz von Feedback kombinierbar. In Organisationen ohne Feedbackkultur ist häufig eine intensivere Nutzung der Strategien aus der Kontextgestaltung ergänzend zu der Eigenreflexion empfehlenswert – insbesondere wenn es um einen Konflikt mit einer Führungskraft geht, die möglicherweise aus der Kultur heraus in ihrem Verhalten unterstützt wird.

Pfad der Feldstrategie

Interaktion lässt sich nicht über deterministische Prozessabfolgen steuern. Dennoch besitzt eine erfolgreiche Feldstrategie i.d.R. eine lose Abfolge von 16 Einzelelementen (Abbildung 2). Diese beruht auf drei Grundgedanken: Verstehen, Basis schaffen und gemeinsam gestalten. Der Ablauf ist dabei durch 5 Kernfragen geprägt:
a.Was passiert hier gerade in der Interaktion und mit mir?
b.Was ist in Bezug auf mein eigenes Verhalten überlegenswert, um einen konstruktiven Austausch herzustellen?
c.Gibt es weiteren Input oder Hilfestellung von außen?
d.Weiß der andere wie die Form seines Agierens auf mich wirkt?
e.Muss stärker interveniert werden – von außen oder durch Veränderung des Arbeitsmodells?

Aus unserer Führungs-, Konfliktcoaching- und Mediationspraxis stehen hinter diesen 16 Einzelelementen eine Vielzahl von konkreten Handlungshebeln.

Interaktionspraxis sehr heterogen: Studie zu Interaktionsmustern

Zur Arbeit mit dem Status Quo in der Zusammenarbeit nutzen wir ein Analyseinstrument, um einen fundierten Eindruck zur bestehenden Interaktionspraxis in Teams und Organisationen zu erhalten. Über den konkreten Einzelfall hinaus wird aktuell (Stand: April 2024) im Rahmen einer offenen Studie die Nutzung möglicher Verhaltenshebel für gestörte Interaktionen über verschiedene Teams und Organisationen hinweg erfasst.

Grundlage ist ein anonymisierter Analysebogen, der durch die Teilnehmenden in circa 10-15 Minuten befüllt wird und dann ein Bild für das Verhaltensmuster der einzelnen Teilnehmenden bzw. des Teams oder der Organisation ergeben (Anm. der Verfasser: Wenden Sie sich bei Interesse an einer Teilnahme bitte an uns). Einzelprofile charakterisieren – je nach Rolle – den Umgang gegenüber den eigenen Kollegen, Mitarbeitenden, die Verhaltensweise im Führungsteam selbst, Verhaltenstendenzen gegenüber der eigenen Führungskraft und Verhaltensmuster gegenüber anderen Organisationen bzw. Kunden.

Erste Ergebnisse der Studie zeigen in Hinblick auf die Nutzung des Pfads der Feldstrategie (Abbildung 2) interessante Muster in der Praxis:
* Die Weiterentwicklung des eigenen Verhaltensrepertoires im Zusammenhang mit der Erfahrung gestörter Interaktion(en) weist die stärkste Spreizung in der ablesbaren Nutzung auf. In anderen Worten bedeutet dies die Weiterentwicklung der eigenen Kompetenz spielt in einer relevanten Anzahl von Fällen keine große Rolle.
* Sich selber in Hinblick auf etwaige Bias zu hinterfragen spielt im Rahmen der Bestandsaufnahme (I) die geringste Rolle unter den Befragten. Der Einfluss der Person des Übermittlers einer Nachricht wird damit vielfach unterschätzt. Dies betrifft sowohl den persönlichen Hintergrund, Verhaltensweisen als auch äusserliche Merkmale.
* Die konstruktive Rückmeldung an den vermeintlich schwierigen Gegenüber besitzt in den Angaben zur Nutzungsintensität ebenfalls eine gewaltige Spannbreite. Im Median ist der Nutzungsgrad schwächer als „teilweise“. Dieser Ansatzpunkt verschwindet damit in vielen Organisationseinheiten also eher in der Schublade. Die konstruktive (Weiter-) Entwicklung einer Interaktion oder einer Teamzusammenarbeit bzw. die kontinuierliche Weiterentwicklung der individuellen Interaktionskompetenz wird in diesen Fällen stark erschwert.

Weiße Flecken & Kernrahmen der Interaktion

Abbildung 3 zeigt für eine Abteilung von 25 Mitarbeitenden die Nutzung von potenziell 64 einzelnen Verhaltenshebeln hinter den 4 Kernansätzen bzw. 16 Einzelelementen der Feldstrategie im Umgang mit einem vermeintlich schwierigen Gegenüber (Quelle: o.g. Studie). Links zeigt die Abbildung das Portfolio von 64 möglichen Hebeln, rechts die tatsächliche Nutzung über die Teammitglieder hinweg.

Zunächst fällt auf, dass im Kern der Interaktionsgestaltung nur wenige Hebel durchgängig durch alle Personen genutzt werden. Auch hier ist die direkte Auseinandersetzung mit dem Gegenüber, z.B. durch Feedback eher schwach ausgeprägt.
Stark genutzt werden hingegen Ansatzpunkte, die ohne die Einbindung der anderen Person stattfinden – zum Beispiel die Einnahme einer positiven Spiegelhaltung sowie die Verifizierung der Situation durch Befragung eines Teammitglieds. Hinzu kommt die Betrachtung der Beiträge aller Seiten zu der aktuellen Interaktionssituation. Auf der anderen Seite ist auch hier insbesondere der selbstkritische Aspekt nur schwach Teil des Verhaltens. Ein etwaiger Bias wird damit eher nicht wahrgenommen.

In Hinblick auf die beschriebenen drei Organisationstypen ist die in Abbildung 3 zugrundeliegende Organisation bei der Verortung zwischen Eskalations- und Verdrängungsorganisation eher auf der Seite der Verdrängungsorganisation. Die Eskalationselemente im obigen Teil des Diamanten spielen weniger eine Rolle. Im Abgleich zwischen Verdrängungs- und Interaktionsorganisation steht die Organisation tendenziell auf der Seite der Interaktion, da Gegendruck, Ignorieren und Anweisen eine eher schwache Rolle spielen.

Was ist optimales Profil?

Wie ist ein entstehendes Muster-Bild nun zu bewerten? In jedem Gespräch, dass wir auf Basis der Analyse führen, stellt sich unmittelbar die Bewertungsfrage durch die Teilnehmenden. Grundsätzlich gilt, dass es keine normativen Muster in allgemeiner Form gibt – abseits des Grundsatzes, dass Verhaltensweisen situativ zweckdienlich sein sollen und ein möglichst breites Verhaltensspektrum hilfreich ist. Gleichzeitig ergeben die Art der Tätigkeit in Bezug auf dem Grad der erforderlichen Flexibilität und Kreativität, sowie die Art der angestrebten Unternehmenskultur einen groben Zielbereich. Ist zum Beispiel eine agile Organisation ins Leben gerufen worden, um durch enge Zusammenarbeit von Fach- und IT-Abteilung verbessert zu Kunden-adäquaten Lösungen zu gelangen, sind selbst-organisierte Teams mit kreativer Reibung ein Erfolgsfaktor. Dies bedingt starke Nutzung von Feldstrategien als Basis der Interaktion.

Kompetenzen zur flexiblen, konstruktiven Interaktion mit anderen sind zudem in der Regel nicht nur für die Leistungserstellung innerhalb des Unternehmens, sondern am Ende auch für die Interaktion an der Kundenschnittstelle, sei es Service oder Vertrieb, erfolgsentscheidend.

Fallstudie:

Ausgangssituation:

Ein junge Führungskraft ist verantwortlich für ein Team aus zwölf Mitarbeitenden.
Das Team arbeitet in einem agilen Kontext, d.h. es ist eigenverantwortlich tätig und orientiert sich im Rahmen von Sprints an vereinbarten Lieferergebnissen.

Herausforderung:

Einem Mitarbeiter fällt es schwer sich mit seiner Rolle zu identifizieren und seinen Beitrag in der Zusammenarbeit im Team beizusteuern. Er liefert seine Ergebnisse in weniger guter Qualität und oftmals verspätet. Die Führungskraft hat aus ihrem Entwicklungsanspruch heraus bereits eine Reihe von Entwicklungsgesprächen geführt. Auch nach circa zehn Monaten gelingt es dem Mitarbeiter immer noch nicht, seine Rolle befriedigend wahrzunehmen. Das Gesamtteam leidet unter der Arbeitslast, die aufgrund der Schwierigkeiten des Kollegen für alle größer ist. Die wiederholten Gespräche binden Kapazität bei der Führungskraft.

Impuls:

Das Verhaltensprofil der Führungskraft zeigt eine ausgewogene Verfolgung von Turm- und Feldstrategien. Auffällig ist, dass der Ansatz der eigenen Verhaltensänderung (II) intensiv genutzt wird. Gleichzeitig ist der Feedback-Bereich stark ausgeprägt, alle anderen Felder der Einbindung des Anderen sind ein weißer Fleck.

Bei der Diskussion der eigenen Verhaltensneigung bemerkt die Führungskraft, dass die Hebel der Veränderung der Situation durch Umgestaltung von Aufgabe oder Kontext wenig genutzt sind. Für sich nimmt sie mit, nach einem so langen Zeitraum die Lösung weniger in der weiteren Bestandsaufnahme oder Veränderung des eigenen Verhaltens zu sehen, sondern in der Umgestaltung des Kontextes zu Gunsten eines anderen Einsatzes des Mitarbeiters entsprechend seiner Stärken.
Aus Sicht der Führungskraft ist es zusätzlich sinnvoll, den Mitarbeiter in der Veränderung von störenden Verhaltensweisen stärker zu unterstützen, um einen Kontextwechsel zu unterstützen (Hebel „Musterbrecher“).

Schlüsselbegriffe:
Konfliktlösung, Mediation, Dialog, Interatkion, agile Zusammenarbeit gestörte Beziehungen, emotionale Konflikte, Beziehungsstörung, Streit, Führungskonflikte, Teamkonflikte, Zusammenarbeit, Vorgespräche, Coaching in der Mediation, Konflikte am Arbeitsplatz, Konfliktkompetenz

Keywords:
Conflict resolution, interaction, mediation, emotional conflicts, relationship disorders, arguments, leadership conflicts, team conflicts, collaboration, upfront discussions, coaching in mediation, conflict competency

 

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