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Kurzinterview mit Dr. Karsten Engler, staatlich anerkannte Gütestelle für Hessen
1. Was genau ist eine Gütestelle?
Der etwas „sperrige“ Name bezieht sich darauf, dass hier mithilfe eines Dritten eine Einigung zwischen Streitenden erreicht werden soll, und zwar ohne Gang zum Gericht. Diese Stellen werden zur Entlastung der Gerichte von der Landesjustizverwaltung eingerichtet oder anerkannt. Für Hessen ist dies das Oberlandesgericht Frankfurt a.M..
Ursprünglich waren Gütestellen für Bagatellstreitigkeiten gedacht. Da Gütestellen unabhängig vom Streitwert arbeiten und im Gegensatz zu Gerichten schnelle Ergebnisse fördern, werden sie immer stärker genutzt – im Privatbereich, im beruflichen Umfeld und im Geschäftsleben. In der Corona-Zeit, in der die Arbeitsweise der Justiz stark eingeschränkt ist und zusätzlicher finanzieller Druck auf vielen Beteiligten im Wirtschaftsleben lastet, nutzen zunehmend mehr Menschen die Unterstützung eines solchen Vermittlers – z.B. im Mieter-Vermieter-Verhältnis oder bei Streit am Arbeitsplatz.
Als Gütestelle ist es mein Ziel, gemeinsam mit den Beteiligten eine für beide bestmögliche Lösung zu erreichen. Das gelingt öfter als gedacht, da ein Blick hinter die oftmals emotionalen Aussagen mehr Einigungsspielraum eröffnet. Mir ist wichtig, nicht für andere zu entscheiden, sondern die Beteiligten bei der Erarbeitung Ihrer passgenauen, vertraulichen Lösung tatkräftig zu unterstützen.
2. Wer darf als Gütestelle tätig sein?
Um in Hessen als Gütestelle vom OLG Frankfurt anerkannt zu werden, muss neben persönlichen Voraussetzungen auch die fachliche Eignung belegt werden. Häufig nehmen daher Juristen diese Rolle wahr. In Hessen können auch Nicht-Juristen nach einer fundierten Ausbildung zum Konfliktmediator und entsprechender beruflicher Erfahrung als Gütestelle zugelassen werden. Ich selber bin auch kein Jurist. Ich halte dies vielfach sogar für einen Vorteil, da es in der Arbeit als Gütestelle in der Regel nicht um „Recht haben oder bekommen“ oder juristische Begriffe geht, sondern um eine Lösung, mit der beide Beteiligten langfristig zufrieden sind.
3. Gibt es Fälle, bei denen der Gang zu einer Gütestelle Pflicht ist?
In Hessen muss insbesondere im Fall von Nachbarschafsstreitigkeiten vor dem Gang zu Gericht zuerst eine Einigung mit einer Gütestelle versucht werden. Was die wenigsten wissen: In der Zivilprozessordnung ist außerdem in jeder Klageschrift Stellung dazu zu beziehen, ob eine Lösung durch Mediation versucht worden ist. Wer hier Bereitschaft gezeigt hat, ist sicherlich im Gerichtsprozess etwas im Vorteil.
4. Bei welcher Art von Fällen wäre eine Gütestelle definitiv außen vor?
Eine Gütestelle hilft, eine Einigung zu erzielen. Damit ist sie außen vor insbesondere bei allen Themen des Strafrechts. Auch wenn man einen juristischen Präzedenzfall schaffen möchte, ist das ordentliche Gericht sicherlich die bessere Anlaufstelle.
5. Haben Sie wegen Corona mehr Fälle zu bearbeiten?
Ja, man spürt den wirtschaftlichen Druck im Moment. Ich erlebe im Moment insbesondere Fälle, in denen der Mieter die vereinbarte Miete wegen der Corona-Situation nicht mehr zahlen kann oder will, z.B. weil sein Geschäft nicht mehr arbeiten kann. Häufig stellt der Mieter dann in seiner Verzweiflung einfach die Mietzahlung ein und riskiert damit fristlose Kündigung und Klage. Auf Seiten des Vermieters ist es im Moment eher unrealistisch, in absehbarem Zeitraum seine Ansprüche (Zahlung oder gar Zwangsräumung) per Gericht durchzusetzen. – Und eigentlich will er im Regelfall den Mieter ja auch langfristig behalten.
6. Könnten/sollten wegen Corona nicht mehr Fälle an Gütestellen verwiesen werden?
Ich denke ja. Unabhängig von Corona bin ich insgesamt immer wieder überrascht, wie stark der Reflex von Streitenden in Richtung Rechtsanwalt und Gericht immer noch ist. Einige Rechtschutzversicherer steuern da auch mittlerweile gegen – sicher nicht ganz uneigennützig. Ich wage mal die These, dass jede dritte Klage unnötig und sogar zeitlich, finanziell und vom zu erwartenden Ergebnis her nicht sinnvoll ist. – Zumal in den meisten Fällen der Richter ab einem gewissen Punkt ohnehin einen Vergleich einfordert. Damit stehen die Streitenden fast wieder am Anfang. Das Erarbeiten von Vergleichen auf Basis tatsächlicher Anliegen ist aber die Kerndisziplin einer Gütestelle. Daher sollte sie vielfach die erste Anlaufstelle sein. Das spart viel Zeit, Geld, Nerven und bringt fast immer eine Lösung, die für alle Seiten gut annehmbar ist, da sie ein Abbild der Themen ist, die allen Seiten wichtig sind.
ZUR PERSON:
NAME: Dr. Karsten Engler
ALTER: 45
BERUF: Wirtschaftsmediator, Management-Coach, Strategieberater
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