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Warum jetzt mehr Gesprächsbereitschaft denn je notwendig ist – und wer dabei in der Krise helfen kann / Konflikt-Mediation als Hilfe zur Selbsthilfe
Die weltweiten Auswirkungen durch das Coronavirus auf Gesellschaft und Unternehmen sind immens. Wirtschaftliche Verwerfungen stellen in Frage, was vor einigen Monaten noch gesetzt war, etwa die Erfüllung von Verträgen. In der aktuellen Gesetzgebung zur Eindämmung der Corona-Folgen hat die Bundesregierung unter anderem Möglichkeiten geschaffen, um in Bezug auf Mietverträge flexibel reagieren zu können, Stichworte Stundung von Mieten und Kündigungsschutz. „Es wäre allerdings zu optimistisch anzunehmen, dass dadurch in der Praxis bereits die Interessen beiden Seiten gut austariert sind. Dafür kann eine Vermittlung durch einen unabhängigen Dritten notwendig und sinnvoll sein, der aufklärend, moderierend und damit befriedend wirkt“, sagt Wirtschaftsmediator Dr. Karsten Engler, der von Rüsselsheim aus im Verbund mit Kollegen in Rhein-Main-Gebiet arbeitet. Mediatoren verfügen über einen entsprechenden „Werkzeugkasten“, um in Konflikten so einzugreifen, damit die Parteien in einem vertraulichen und vertrauenserhaltenden Rahmen schnell und selbstbestimmt zu einer maßgeschneiderten Lösung finden, die ihre Beziehung zueinander schützt. Im Unterschied zu über Anwälte und letztlich häufig vor Gerichten geführten Auseinandersetzungen, die Verbindungen oft belasten oder gar zerstören. „Hilfe zur Selbsthilfe“, so Engler. Neben der kürzeren Dauer können auch die häufig deutlich geringeren Kosten für eine Mediation sprechen.
Großer Gesprächsbedarf
Oft ist man von der der Corona-Krise persönlich in mehrfacher Hinsicht betroffen, als Elternteil, als Mitarbeiter, als Kunde oder eben als Mieter oder Vermieter. Unsicherheiten entstehen und auch rechtliche Fragen. „Es herrscht im Grunde großer Gesprächsbedarf, viel mehr sogar als sonst“, sagt Engler. „Corona aber wirbelt im Moment alles durcheinander, was uns in der sozialen und wirtschaftlichen Interaktion vertraut ist. Soziale Interaktionen werden nach außen stark eingeschränkt, Interaktion nach innen, zur Kern-Familie, wird zentral – und dabei stärker und vielleicht auch belastender als vom einen oder andern gewünscht.“
Wenn man genau hinschaut erkennt man, dass eines trotz aller derzeit spürbaren Solidarität und trotz der Zurückstellung eigener Wünsche gleichbleibt: die hochindividuellen Bedürfnisse und konkreten Interessen jedes Einzelnen als Mensch. Dort, wo Interessen aufeinandertreffen, gibt es weiterhin Konflikte, sogar die wachsende Gefahr einer Konflikt-Eskalation. Je länger diese Konflikte ungelöst sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ohne einen massiven externen Eingriff – verbunden mit gefühlten Gewinnern und Verlierern – keine Lösung mehr möglich wird.
Als ein besonderer Konfliktherd hat sich – neben dem emotionalen Umfeld der Familie – für viele die Mieter-Vermieter-Beziehung herausgestellt, und dies wird sicherlich noch für eine lange Zeit so bleiben. Es gibt durch Fragen zur „Gerichtsfestigkeit“ des Nachweises, dass eine Notlage wirklich durch Corona entstanden ist, zur möglichen Verzinsung der gestundeten Beträge, zum Rückzahlungszeitpunkt oder zum Umgangs mit laufenden Nebenkosten eine Reihe von kritischen Punkten, bei denen es einer zeitnahen Einigung bedarf – zumal Termine vor Gericht auf absehbare Zeit kaum eine Option sind und niemand sich der Gefahr einer fristlosen Kündigung wegen fehlender Schutzbedürftigkeit aussetzen möchte.
Wichtige Fragen und Checklisten
Wichtige Fragen für Mieter sind derzeit: Wann und wie ist meine finanzielle Krise entstanden, die eine Mietstundung erfordern könnte? Will und kann ich offen mit meinem Vermieter sprechen? Bin ich bereit, meine Finanzlage offenzulegen? Sehe ich mich in der Lage, die Mietnachzahlungen fristgerecht leisten zu können? Gibt es (preiswertere) Alternativen zu meiner jetzigen Wohnsituation?
Vermieter brauchen auch eine Checkliste: Kann ich Mietstundungen verkraften oder habe ich, etwa durch Kredite, eigene nicht abwendbare Verpflichtungen? Bin zu welchen Punkt kann oder will ich dem Mieter entgegenkommen? Ist das Verhältnis zum Mieter aus der Vergangenheit belastet, störungsfrei oder sogar besonders gut? Was würden Kündigung, Auseinandersetzungen, Leerstand, Neuvermietung bedeuten, persönlich und wirtschaftlich?
„Niemand verlässt eine funktionierende Beziehung ohne triftigen Grund“, so laute eine Erfahrung, sagt Mediator Engler. „Das kann auch eine Beziehung sein zwischen einem Mieter, der angenehm und stressfrei wohnt, und einem Vermieter, der pünktlich seinen Mietzins erhält und auch sonst keinen Ärger im Haus hat.“
„Dreiviertel der Immobilien in Deutschland sind in privater Hand. Zu den genannten Sachpunkten kommt also, dass für Wohnraum-, aber auch für Gewerberaum-Mieter in Deutschland in vielen Fällen keine abstrakten Vermietungsgesellschaften, sondern sehr konkrete Einzelvermieter auf der anderen Seite stehen“, stellt Jörg Hahn fest, der als Wirtschaftsmediator aus Frankfurt mit Dr. Engler eng kooperiert. „Sehr viele dieser Vermieter haben in der Regel vor dem Hintergrund sehr persönlicher Interessen eine Immobilieninvestition getätigt haben – so häufig zur Absicherung der eigenen Altersvorsorge.“
Persönlicher finanzieller Druck, sowie wirtschaftliche oder emotionale Streitpunkte in der Vergangenheit (über Lärm, Heizung, Renovierung, Treppenhausreinigung und manche mehr, vielleicht auch Banales.) erschweren unter Umständen einen sinnvollen Konsens in der aktuellen Lage. Der Austausch von Schriftsätzen zwischen Rechtsanwälten führt nicht zu Lösungen, sondern verschärft eine Blockadehaltung. Anfangs kann man meist noch miteinander reden, später verschärft sich erst der Ton, dann entstehen Ablehnung, Hass, schließlich vielleicht sogar Zerstörungswut.
Lösungswege
Hier ist die rechtzeitige Einschaltung einer dritten Partei als neutraler Vermittler eben sehr sinnvoll. Eine Gesprächsbereitschaft muss noch bestehen, die Haltung „Mit der Person nicht mehr in einem Raum und schon gar nicht an einem Tisch“ wäre fatal. Der Wirtschaftsmediator agiert im Sinne beider Parteien: sein Ziel ist es, dass beide Seiten am Ende bestmöglich mit der gefundenen Einigung zufrieden sind. Die Lösungshoheit liegt bei den Parteien, die nach Kräften durch den Mediator unterstützt werden. Zeit, Kosten und emotionale Ressourcen werden geschont. Am Ende steht eine rechtsverbindliche Einigung – im Fall einer Gütestelle als Vermittler, und als solche ist Dr. Engler zugelassen – sogar mit Vollstreckbarkeit.
Vielfach wird jetzt schon von der Veränderung des Miteinanders nach der Corona-Zeit gesprochen. Doch die Mediatoren raten zu Realismus: „Wenn wir es schaffen, ‚Egoismus‘ zu verstehen im Sinne legitimer Interessen, die ehrlich verstanden werden wollen und die ein Startpunkt für gemeinsame Überlegungen sind, dann bringen wir uns alle weit voran.“ Ihr Rat lautet deshalb: „Sich die Hilfe Dritter zu nehmen, um mit den eigenen und den fremden Emotionen fertig zu werden, zeugt eher von Stärke und gegenseitigem Respekt für einen guten Konsens. Faule Kompromisse kann man scheinbar leicht bekommen, sie kommen einen aber meist später teurer zu stehen.“