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Agile Transformation

Die agile Transformation der Commerzbank –
Ansätze für das Konfliktmanagement im agilen Umfeld

Innerbetriebliche Konflikte und entsprechendes Konflikt(lösungs)management müssen immer im Kontext des betrieblichen Umfeldes gesehen werden. Die agile Arbeitsweise erhöht die Bedeutung des internen Konfliktmanagements, da sie in der Regel mit einem für die Beteiligten ungewohnt hohen Maß an Selbstorganisation der Teams einhergeht. Dies ist häufig mit »Reibung« im Teambildungsprozess, in der intensiven inhaltlichen Auseinandersetzung für das bestmögliche Ergebnis und bei Feedbackprozessen verbunden. Wird diese Arbeitsweise auch strukturell abgebildet, kommen zusätzlich Konfliktpotenziale durch Rollenänderung auf Seiten der Führungskräfte hinzu. Mediation und ihre Techniken können beim Umgang mit diesen Konflikten sowohl auf dem Weg in die neue Organisation als auch im Zielbild eine prominente Rolle spielen. Beispielhaft wird dies anhand der agilen Organisationsstruktur der Commerzbank AG und ihres Go-Live zum 1. Juli 2019 dargestellt.

Von Dr. Karsten Engler und Dr. Hendrik Heitmann

Innerbetriebliche Konflikte haben immer eine systemische Komponente: Sie bewegen sich in einer Organisationsstruktur, der wiederum ein bestimmtes Organisationsverständnis zu Grunde liegt. Beides determiniert die Wahrscheinlichkeit und die Gestalt von Konflikten und des entsprechenden Konfliktmanagementsystems. Zusätzlich wird dadurch der relevante Kreis der für die Konfliktlösung erforderlichen Beteiligten bestimmt.
Auf der Seite des Organisationsverständnisses führt das zunehmende „VUCA-Umfeld“ dazu, dass die Bedeutung starr definierter Rollen stark abnimmt. Immer bedeutsamer hingegen wird die Selbstorganisationsfähigkeit von Organisationen, um den gestiegenen Anforderungen des Umfelds gerecht zu werden (Malik, 1996).
Vor diesem Hintergrund ist auch die veränderte Aufstellung der Zentrale der Commerzbank AG ab Mitte 2019 zu sehen: Als eine der hauptsächlichen Herausforderungen wurde mehr Geschwindigkeit in der Bank, am Markt und beim Kunden identifiziert. Die Commerzbank hat sich daher zum Ziel gesetzt, den Vertrieb schneller mit funktionierenden Lösungen zu beliefern – oder anders gesagt, die Liefereffizienz der Zentrale sehr deutlich zu erhöhen.

Näher am Kunden durch agile Organisation

Bereits direkt nach der Integration der Dresdner Bank 2010 hat die Commerzbank begonnen, Prozesse ganzheitlich („End-to-End“) aus Kundensicht zu optimieren. Die enge Zusammenarbeit über Funktionen und Bereiche hinweg war dabei ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Die zunehmenden Möglichkeiten der Digitalisierung führten schließlich dazu, dass auch die Einbindung von IT-Know-How immer wichtiger wurde. Dieser Tatsache trug die Commerzbank durch die Gründung des „Digitalen Campus“ im Jahr 2016 Rechnung. Dort konnten Kundenprozesse durch die örtliche und stark autonome Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen und der IT zeitnah und nachhaltig verbessert werden. Grundlage wurde die Scrum -Methodik des agilen Arbeitens, in deren Zentrum die iterative und inkrementelle Entwicklung von Produkt und Planung steht. Produktentwicklung und Planung wurden damit in die Verantwortung interdisziplinärer, stark eigenverantwortlicher Teams mit der Verantwortung zur Erstellung von marktfähigen Prototypen in Zyklen von zwei bis drei Wochen gelegt.

Agile Transformation: Ausrollen agiler Arbeitsweisen auf fast 10.000 Mitarbeiter

Aufgrund der Erfolge und der hohen Anziehungskraft unter den Mitarbeitern wurde die Möglichkeit zur Nutzung der agilen Arbeitsprinzipien auf die gesamte Zentrale und damit fast 10.000 Mitarbeiter ausgeweitet. Insbesondere wurde eine Betriebsvereinbarung zur Nutzung der Scrum-Methodik für die gesamte Zentrale der Commerzbank AG geschlossen und es wurde die Ausbildung von Methodenexperten („Scrum-Master“ und „Agile Coaches“) etabliert.
Zur bestmöglichen breiten Nutzung der positiven Erfahrung aus Struktur und Arbeitsweisen des „Campus“ ging die Commerzbank Mitte 2019 noch einen radikalen Schritt weiter: Orientiert an Spotify und der niederländischen ING-Bank gingen alle Einheiten, die in der Zentrale Verantwortung für IT-Systeme haben, in eine neue Struktur mit drei Kernmerkmalen über: i) Bündelung von Fach- und IT-Know-How in hierarchiefreien Teams mit ca. 10 Mitarbeitern (Cell), ii) Trennung fachlicher und disziplinarischer Führung: fachliche Führung der Cells durch ergebnisverantwortliche „Product Owner“, disziplinarische Führung nach Funktionen durch „Chapter-Leads“, d.h. fokussiert auf die Weiterentwicklung von Funktionen über Teams hinweg, iii) Bündelung der Führung in einer Einheit mit bis zu 100 Mitarbeitern (Cluster).

[Abbildung 1: Agile Struktur in der Commerzbank AG („Cluster-Lieferorganisation“ der Zentrale]

Zusätzlich wurden fehlende IT-Fachkräfte aus dem europäischen Ausland unter Nutzung moderner kollaborativer Arbeitsweisen in die jeweiligen Teams mit integriert.
In Summe ändert sich das Arbeitsumfeld für etwa die Hälfte der Mitarbeiter der Zentrale – fast 5.000 Menschen – damit deutlich. Die Zentrale besteht in Zukunft aus vier logischen Blöcken: i) Vertrieb: Vertriebseinheiten und Produktspezialisten mit direktem Kundenkontakt; ii) Cluster-Lieferorganisation: Alle Teile der Organisation, die zu einer effektiven und effizienten Entwicklung und Verbesserung der IT-basierten Produkte und Dienstleistungen beitragen. Dies sind im Zielbild 54 Cluster; iii) Zentrale Funktionen: Teile der Organisation ohne Beitrag zu IT-gestützten Produkten, z.B. Stabsstellen; iv) Alle Einheiten zum Betrieb und zur Unterstützung von Mid-/Backoffice-Funktionen, die keine Vertriebserträge generieren und z.T. manuelle Arbeitsschritte benötigen.

Neue Steuerungs- und Flexibilitätsmechanismen

Die neue Struktur der Cluster-Lieferorganisation ist so aufgestellt, dass weitere kontinuierliche Anpassungen möglich sind. In einem vierteljährlichen Abstimmungstermin mit den wichtigsten Verantwortungsträgern (inklusiv des Konzernvorstands) werden Prioritäten (re-)adjustiert und Budgets entsprechend angepasst. Dieser „Quarterly Business Review“ (QBR) sorgt zudem für eine enge Verzahnung zwischen den 54 Clustern.
Zur Sicherstellung einer zusätzlichen Flexibilität ist auch die Bewegung von Mitarbeitern innerhalb der neuen Struktur vereinfacht: Versetzungen sind –bei Einverständnis des Mitarbeiters – in der Clusterorganisation in vielen Fällen weniger formell möglich.

Reibungslose Transitionsphase mit Einbindung der Mediation

Die beschriebene Veränderung wurde über ein Zuordnungsverfahren von knapp 10.000 Mitarbeitern umgesetzt. Durch frühzeitige intensive Information der Mitarbeiter ist es gelungen, diesen Prozess fast reibungslos durchzuführen. Da Veränderung jedoch immer auch Situationen mit sich bringt, in denen größerer Abstimmungsbedarf besteht, wurde zusätzlich ein zweistufiger Prozess für die Behandlung eines Widerspruch eines Mitarbeiters zu seiner Zielposition eingeführt, der die Interessen des Mitarbeiters bestmöglich zu berücksichtigen half: Zunächst fand eine Mediation unter Beteiligung des Mitarbeiters, seiner direkten Führungskraft, dem entsprechenden Bereichsleiter, einem Vertreter des Betriebsrats und der Personalabteilung statt. Die Personalabteilung – konkret: ein Managementberater, der die Führungskräfte aus dem Bereich des Mitarbeiters betreut – übernahm dabei die Rolle des Vermittlers. Nur im Fall eines Scheiterns dieses Verfahrens fand eine Einbeziehung der nächsthöheren Ebene über Abstimmung zwischen Betriebsrat, Personalabteilung und Bereichsvorstand statt. Durch die gute Vorbereitung musste der Prozess jedoch in deutlich weniger als 3% der Zuordnungsfälle genutzt werden.
Die weitaus größere Herausforderung lag jedoch in der Veränderung der persönlichen Anforderungen und des täglichen Arbeitsumfelds der Mitarbeiter. Begünstigend wirkte hier zweierlei: eine Reihe von Mitarbeitern hatte bereits in der Vergangenheit projekthaft in der neuen Teamzusammenstellung an der Weiterentwicklung der IT-Systemlandschaft gearbeitet. Diese Projektstruktur wurde zum Stichtag in eine Linienstruktur überführt. Hinzu kommt, dass jedes Cluster im agilen Coach einen dedizierten Change-Agent als Ansprechpartner hat. Dessen Ausbildung beinhaltet zu einem signifikanten Anteil auch Change-Aspekte.

Förderung Teambildung durch Teammediation

Für die Frage, wie ein neues bzw. verändertes Team reibungslos durch den – mitunter kräftezehrenden – Teambildungsprozess kommt, hat die Effizienz der Integration individueller Interessen eine herausragende Bedeutung. Hier ist Mediation eine Option (vgl. Abbildung 2) bereits vor Entstehung etwaiger Konflikte im Teambildungsprozess einen wichtigen, über Konfliktprävention (Wenzel, 2008, S. 82) hinausgehenden gestalterischen Beitrag zu leisten (Engler 2019). Bislang wurde diese Möglichkeit in der Commerzbank allerdings nur in Einzelfällen wirklich eingesetzt.

[Abbildung 2: Kernelemente der Mediation]

In den tatsächlich durchgeführten Teammediationen wurde deutlich, dass bei den relevanten Themen insbesondere Aspekte rund um Team-Setup, Umgang miteinander, Einbindung wichtiger Stakeholder, Entscheidungsfindung sowie Feedback von Bedeutung sind. Die nachfolgend stattgefundenen Interessen-Diskussionen zeigten durch die Interessen-Heterogenität bzw. die Unterschiede in der Interessengewichtung, wie wichtig ein unterstützter Austausch zu den genannten Themen ist; insbesondere, da die Beteiligten aufgrund der unterschiedlichen Führungs-, Diskussions- und Arbeitskulturen ihrer organisatorischer Herkunftsbereiche sehr unterschiedliche Erfahrung mit der offenen Kommunikation eigener Bedürfnisse und Interessen haben. Konkret hat die Mediation in kurzer Zeit – wo durchgeführt – zu einer gemeinsamen Formulierung und daher auch zu einer Vielzahl gemeinsam getragener Regelungen und Vereinbarungen sowie einem deutlich gestiegenen Zusammengehörigkeitsgefühl im Team geführt. In allen Fällen wurde zudem der Austausch auf der Ebene der Interessen durch die Teilnehmer als geeignetes Instrument auch für künftige Teamabstimmungen gesehen.

Veränderte Konfliktlösungsverantwortung

Für künftige Mediationsverfahren in der neuen Organisation gilt: Die neue Struktur verändert den Kreis der üblicherweise bei der innerbetrieblichen Mediation relevanten Stakeholder. In der klassischen Linienorganisation ist grundsätzlich die nächsthöhere Führungskraft für den Konflikt verantwortlich. Aufgrund der Aufteilung der fachlichen und disziplinarischen Führung auf Product Owner bzw. Chapter-Lead in der Cluster-Lieferorganisation tritt bei einem Konflikt in einer Zelle der Chapter-Lead als disziplinarische Führungskraft in diese Rolle. Da die Führung innerhalb eines Teams aufgrund der Funktions-Orientierung auf mehrere Chapter-Leads verteilt sein kann, sind bei einem Konflikt zwischen zwei Mitgliedern einer Zelle oftmals auch zwei Chapter-Leads beteiligt. Sollte sich das Cluster international aufgestellt haben, kann es zudem dazu kommen, dass nicht (alle) Führungskräfte vor Ort sind und zusätzlich kulturelle Unterschiede zum Konfliktverhalten zum Tragen kommen. Hier wird dann fallweise zu entscheiden sein, ob eine der Führungskräfte die Gesamtverantwortung für den Konflikt übernimmt oder ob es sinnvoll ist, die nächsthöhere Führungsebene, den Cluster-Lead, einzubinden. Hier wäre dann auch eine Konsolidierung der Führung über die relevanten Chapter-Leads gegeben.

Für eine Mediation bedeuten die unterschiedlichen Konstellationen zunächst den Bedarf einer intensiven Klärung der erforderlichen Beteiligten. Bei internationaler Dimension sollte die Führungskraft aus dem jeweiligen Land aufgrund etwaiger lokaler Kontextbesonderheiten eingebunden sein. Hinzu kommt die Frage der physischen Präsenz von Teilnehmern. Eine Mediation über Ländergrenzen hinweg unter Nutzung von Videokonferenz erscheint nur dann zielführend, wenn zuvor ein Mindestmaß an Vertrauen auf persönlicher Ebene etabliert wurde, z.B. durch Auftakt-Vor-Ort-Besuche oder durch persönliche Arbeitstreffen, auf denen auch für das persönliche Kennenlernen Raum durch z.B. gemeinsame Abendessen gelassen wird.

Gestiegenes Konfliktpotenzial im Zielbild bei abnehmender Wirkung „bewährter“ Lösungsmechanismen

Im Zielbild der agilen Clusterorganisation spielen die eingangs angesprochene Selbstorganisation sowie multilaterale Abstimmungsprozesse (z.B. während des QBR ) eine prominente Rolle. Entsprechend nimmt das Konfliktpotenzial zu: Teams werden sich z.B. immer wieder in ihrer Zusammensetzung verändern und damit „Reibung“ bei der Neuadjustierung erleben. Die Erreichung bestmöglicher Ergebnisse erfordert zudem eine intensive inhaltliche Auseinandersetzung – mit ggf. Verwerfung bis dahin erstellter Arbeitsergebnisse – so dass Feedback zum noch wichtigeren Team- und Mitarbeiterentwicklungsinstrument wird. Für viele Mitarbeiter ist dies noch ein ungewohnte Praxis. Zusätzlich müssen sich ehemalige (disziplinarische) Führungskräfte in der Rolle der fachlichen Ergebnisverantwortung als Product Owner neu einfinden.
All diese „Umgewöhnungsprozesse“ in der Interaktion miteinander sind mit potenziellen Konflikten verbunden. Gleichzeitig sind althergebrachte, „klassische“ Mechanismen der Konfliktlösung eher kontraproduktiv: i) Konfliktvermeidung: Durch Vermeidung von Konflikten können Interessengegensätze nicht angesprochen und damit nicht auf mögliche Lösungen hin geprüft werden. Stattdessen behindert der „kalte Konflikt“ die vertrauensvolle effiziente Zusammenarbeit. Es entstehen Misstrauen und Gräben; ii) Einsatz von Machtinstrumenten (emotionaler Druck oder Entzug von Aufgaben, Versetzung, Abmahnung): Da die Produktivität des agilen Arbeitens stark auf dem individuellen Einsatz jedes Einzelnen sowie dessen kreativer Problemlösungskompetenz beruht, schädigt der Einsatz von Macht die Zusammenarbeit in Person des Betroffenen oder über Ausstrahlungseffekte in Form des gesamten Teams (Cell).
Stattdessen hängen der Grundgedanke der Mediation (Vereinbarung von Interessen) und der Gedanke des agilen Arbeitens (selbstverantwortliches, engagiertes Arbeiten) eng zusammen: Die Interessen als zentraler Treiber individuellen Verhaltens sind in Einklang zu bringen, um das Zielbild des agilen Arbeitens zu erreichen.

Trennung und Rückgewinnung von Mitarbeitern

Dennoch: Nicht jedes Mediationsverfahren im innerbetrieblichen Kontext – schon gar nicht im Rahmen eines Change-Prozesses – muss zwangsläufig mit dem weiteren Verbleib des betroffenen Mitarbeiters in der Organisation enden. Lässt sich in der Interessenphase (vgl. dazu Kessen/Troja, 2016) erkennen, dass der Arbeitnehmer sich mit der neuen Organisationsstruktur, den veränderten Arbeitsprozessen und Berichtslinien nicht mehr einverstanden erklären kann, kann die Abschlussvereinbarung auch aus einer Beendigungslösung des Arbeitsverhältnisses bestehen. Gehört es etwa zu den identitätsbildenden Elementen für einen Mitarbeiter, sich als Teil einer hierarchisch geprägten Führungskultur zu sehen, sinkt die Identifikation mit dem Arbeitgeber durch die Einführung agiler und flacher Arbeitsmethoden. Damit reduziert sich letztlich die individuelle Arbeitsmotivation.
Besondere Relevanz kann dieser Umstand erlangen, wenn Führungskräfte, die vor dem Change-Prozess hierarchisch mit Entscheidungsmacht ausgestattet waren, nach dem Change-Prozess aber entweder über gar keine Entscheidungsmacht mehr verfügen oder diese zumindest deutlich beschnitten wurde. Auch diese Führungskräfte stehen einem Transformationsprozess zur Etablierung agiler Arbeitsmethoden tendenziell ablehnend gegenüber. Das Mediationsverfahren kann in diesem Zusammenhang einen Erkenntnisprozess des jeweiligen Mitarbeiters in Gang setzen, dass der Schritt aus der Organisation hinaus auch im eigenen Interesse liegen kann.
Gleichermaßen kann ein Mediationsverfahren aber auch den Blick des Mitarbeiters auf die neue Arbeitsorganisation erweitern und ihm neue Perspektiven eröffnen: In der Regel ist ein Change-Prozess mit vielen Ängsten der Belegschaft begleitet. Was kommt auf mich zu? Werde ich den neuen Erwartungen gerecht? Helfen mir meine Erfahrungen in der neuen Struktur und werde ich überhaupt noch gebraucht? All dies sind Fragen, die die Mitarbeiter tagtäglich mit sich herumtragen, wenn über Wochen und Monate der Change-Prozess langsam in der Organisation implementiert wird. Insoweit bietet das Mediationsverfahren für den Arbeitgeber die Chance, auch die verunsicherten Mitarbeiter als zuverlässige Säulen einer neuen Unternehmensorganisation zu begreifen. Notwendige Voraussetzung dafür ist das Verständnis für das Sicherheitsbedürfnis der Belegschaft und deren Angst vor dem Neuen.

Agile Struktur erfordert angepasstes Konfliktmanagementsystem

Aus einer breiteren Perspektive macht die Umsetzung einer agilen Struktur alle präventiven Aspekte eines Konfliktmanagementsystems besonders wichtig. Daher hat die Commerzbank einen besonderen Schwerpunkt auf die Qualifizierung kritischer Rollen wie Scrum-Master, Agile-Coaches und der Product Owner gelegt. Hinzu kommt eine Sensibilisierung relevanter Rollen auf Seiten der Personalfunktion, insbesondere der Beratungseinheiten.

[Abbildung 3: Elemente eines Konfliktmanagementsystems (Auswahl)]

Die kritischen Rollen wie Agile Coach und Scrum Master fungieren im Fall von Konflikten zudem vergleichbar mit Konfliktlotsen. In dieser Rolle können sie z.B. zusätzliche Unterstützung, wie die eines externen Mediators, einbringen.
Eine zusätzliche Herausforderung stellt die verstärkte internationale Zusammenarbeit in agilen Teams dar – nicht nur wegen der räumlichen Trennung, sondern insbesondere auch aufgrund zusätzlicher kultureller Unterschiede. Eine zentrale Servicefunktion, die Nearshore-Standorte für die nationalen Cluster betreibt, soll dazu beitragen, eine Integration der Mitarbeiter sowohl lokal als auch transnational sicherzustellen. Förderlich ist hier, dass in einigen Ländern Mediation ein deutlich vertrauteres Instrument darstellt. Herausfordernd jedoch wirkt, dass in einigen Ländern die offene Ansprache von Problemen oder eigenen Interessen kulturell nicht üblich ist. Hier ergänzten interkulturelle Trainings den Übergang in die neue Struktur.

Fazit: mediative Elemente in der agilen Transformation

In Summe konnten Mediation bzw. entsprechende Techniken damit im hier beschriebenen neuen Setup der Zentrale der Commerzbank AG bereits eine wertvolle Rolle einnehmen – und werden es auch weiterhin tun. Insbesondere begünstigt Mediation eine Stärkung des kooperativen Miteinanders, das in dieser Form der Netzwerkorganisation unerlässlich ist.

Anmerkungen

1 VUCA ist ein Akronym für die englischen Begriffe volatility (Volatilität, Unbeständigkeit), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Mehrdeutigkeit).
2 Scrum ist eine Methode des Projekt- bzw. Produktmanagements. Sie zeichnet sich insbesondere durch eine inkrementelle und iterative Vorgehensweise aus.
3 Der Product Owner legt als fachlich Verantwortlicher die Spezifikationen von Endprodukten fest, der Chapter Lead ist der disziplinarisch Verantwortliche, der innerhalb einer neuen Organisationseinheit (Cluster) Führungskraft für spezifische Funktionen (z.B. alle Java-Entwickler) ist.
4 QBR = Quarterly Business Review (ein Abstimmungsformat, in dem auf oberster Ebene die Verzahnung und Priorisierung von Themen sichergestellt wird).
5 Methodischer Unterstützer zur Umsetzung der neuen Arbeitsweise auf Ebene der neuen Organisationseinheit „Cluster“ und zur methodischen Verzahnung zwischen Clustern.
6 Standorte außerhalb Deutschlands, aber noch in Europa.

Literaturverzeichnis

Engler, K. (2019): Von begleiteten Teamprozessen zur aktiven Teamgestaltung, ZKM 5/2019
Kessen, S./Troja, M. (2016). Ablauf und Phasen einer Mediation. In F. Haft/K. Gräfin von Schlieffen (Hrsg.), Handbuch Mediation (S.329 – 355) München: C.H.Beck.
Malik, F. (1996). Systemisches Management und Systemisches Projektmanagement. In H. Balck, Networking und Projektorientierung (S. 145-164 ). Berlin, Heidelberg: Springer.
Wenzel, K. (Kassel). Konfliktbearbeitung durch Mediation. 2008: University Press GmbH.

Schlüsselbegriffe:
Konfliktmanagement, agile Struktur, Mediation, präventive Mediation, Team-Mediation, Teambildung, Konfliktmanagement-System, Interkulturelles Management, Konfliktverantwortung, Selbstorganisation

Keywords:
Conflict management, agile structure, mediation, preventive Mediation, team mediation, team building, conflict management system, intercultural management, conflict responsibility, self-organisation

 

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