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Veränderung umsetzen

Wie Vorsätze wahr werden – erfolgreiche individuelle und organisatorische Veränderung

So wie gute Vorsätze am Anfang eines Jahres scheitern auch die Mehrzahl organisatorischer Transformationsprojekte an der Realität. Wir alle wissen das. Dennoch bleiben eigene Vorsätze genauso wie organisatorische Change-Projekte auf der Agenda. Wie lässt sich der Durchbruch erzielen? Hier einige Erfahrungen aus der Praxis – illustriert am Beispiel der agilen Transformation.

Von Dr. Karsten Engler

Individuelle und organisatorische Veränderung haben mehr gemeinsam als es auf den 1. Blick den Anscheint hat. Veränderung findet insbesondere immer im Kontext statt. Dies betrifft sowohl den Zielsetzer selbst als auch sein Umfeld. Bezogen auf den Zielsetzer* selbst steht vor allem jedes Ziel direkt oder indirekt in Bezug zu anderen Zielen bzw. einem stabilen Status Quo.

Zielbild transparent machen

In diesem Sinne ist im ersten Schritt sorgfältig zu prüfen, was sich bei Erreichung des Ziels verbessert, was unverändert bleibt – auch wenn es vielleicht unerwünscht ist – und was sich verschlechtert. Bereits diese Überlegungen erlauben es, Nutzen und „Kosten“ im Vorfeld fair abzuwägen und ggf. Maßnahmen zu entwickeln, um im Sinne einer Kraftfeldanalyse Wirkungen auszutarieren. Noch wichtiger: Unterbewusste Umsetzungshemmnisse („Handbremsen“) werden unmittelbar adressiert.

Zusätzlich sollte systematisch untersucht werden, wie sich die angestrebte Veränderung im unmittelbaren und mittelbaren Umfeld auswirkt, um förderliche und hinderliche Kräfte zu identifizieren. Beim Menschen, der mehr Sport treibt, könnte es beim Partner ein positives Feedback geben, im Freundeskreis aber Verstimmung aufgrund knapperer Zeit für gemeinsame Treffen. Im Gesamtunternehmenskontext bleibt natürlich auch eine Veränderung in nur einem Team nicht ohne Signalwirkung, die es zu steuern gilt.

Abschied von „intellektuellen Zielen“

Auf der Ebene des Einzelnen ist es zunächst elementar, die geeigneten Ziele zu finden, die wirklich den Bedürfnissen entsprechen. Da eine Zielerreichung auch eine Zielfokussierung und ständige Priorisierung zugunsten dieses Ziels erfordert, ist dieser Schritt elementar. Erfahrungsgemäß wird dabei sehr schnell deutlich, welche Ziele einen wirklich tieferliegenden Wert für die Person und damit eine hohe Realisierungschance aufgrund entsprechender, tief verankerter Einsatzbereitschaft besitzen.

Was bedeutet dies für Organisationen? Für ein so komplexes System wie ein modernes Unternehmen ist es eine Kernherausforderung, möglichst viele Mitarbeiter durch die Übereinstimmung individueller und gemeinsamer Ziele emotional einzubinden und gleichzeitig eine gemeinsame Ausrichtung zu schaffen, um gemeinsame Kräfte freizusetzen – der gewünschte „Emergenz-Effekt“. Seit einigen Jahren wird der sogenannte „Purpose“ definiert, um eine gemeinsame Ausrichtung der Organisation, zusammen mit einer gesellschaftlichen Bedeutung des Unternehmens, zu verankern.

Was jedoch regelmäßig übersehen wird: die wenigsten Menschen können ad-hoc sagen, was ihnen wirklich wichtig ist – geschweige denn sicherstellen, dass der genannte Sachverhalt auch wirklich mit allen anderen eigenen inneren, unbewussten Werten und Überzeugungen stimmig ist. Daher finden sich häufig kognitiv-logisch erdachte oder als extern wünschenswert erachtete Ziele, die im Unterbewusstsein des Einzelnen allerdings keine bindende oder stärkende Wirkung entfalten. Das eigentliche Ziel der Definition eines Purpose wird damit regelmäßig verfehlt. […]

Umsetzung von Veränderung: Hindernis ist nicht gleich Hindernis

Auf dem Weg der Veränderung, individuell oder unternehmensbezogen, lassen sich drei Arten von Hindernissen unterscheiden: erstens fachliche Hindernisse oder Wissenslücken, zweitens fehlende Ideen außerhalb der eigenen engen Sichtweise, drittens nicht mehr geeignete, aber sehr tief eingeübte Verhaltensweisen und Überzeugungen. Aus der Erfahrung als Coach von Führungskräften und Organisationen lässt sich feststellen, dass fehlendes Wissen selten ein nachhaltiges Problem darstellt. Wissen kann erworben werden und wird zum Beispiel im Rahmen einer agilen Transformation durch die Ausbildung von Scrum Mastern und Agile Coaches vermittelt. Häufig helfen zudem externe Berater dabei, eine breitere Perspektive einzunehmen und zwischen verschiedenen Organisations- und Prozessmodellen einen geeigneten Rahmen für die Veränderung zu finden. Im individuellen Coaching sind dies typischerweise die Impulse, die der Coach setzt, zum Beispiel durch geeignete (systemische) Fragetechniken.

Verzahnung individueller Veränderung mit organisatorischer Veränderung

Die Verzahnung individueller Ziele mit der Gesamtausrichtung einer Organisation ist erfolgskritisch und sollte systematisch verankert werden (siehe Abbildung oben). Auf individueller Ebene (linke Seite der Abbildung) ist Ausgangspunkt die Annahme, dass jedes Verhalten in einem bestimmen Kontext und auf Grundlage von Fähigkeiten sowie insbesondere Überzeugungen stattfindet.
Zusätzlich wird davon ausgegangen, dass auf der übergeordneten Ebene das Verständnis von Identität und Zugehörigkeit steuernd wirken. Auf Ebene von Team oder Einheit (rechte Seite der Pyramide) entspricht dem die Abfolge aus Mission, Vision, Leitbild mit Kernprinzipien, Strategie, Maßnahmenpläne und Resultate.
Im Rahmen der Organisationsentwicklung findet die Entwicklung und Abstimmung dieser sechs Ebenen zunächst durch jeden der Mitarbeiter individuell – idealerweise in einem geeigneten Austausch-Format – statt. Daran schließt sich dann die gemeinsame Definition der Basis der Zusammenarbeit an Vision, Mission und Prinzipien der Zusammenarbeit im Leitbild formen dabei das Grundgerüst der Kollaboration. Je nach Größe der jeweiligen Gruppe dauert dieser Gesamtprozess zwischen einzelnen Tagen und einer Woche. Das Resultat wird dann laufend iterativ weiterentwickelt und wird damit zu einem wirklich lebendigen Band zwischen den Mitgliedern und der Organisation.

Zusätzliche Nutzung von Change-Enablern für Verhaltensänderung

Nach Verzahnung der individuellen Sicht mit der unternehmerischen bleibt jedoch eine wichtige Herausforderung: die meisten Ziele scheitern an der tatsächlichen Veränderung von Verhaltensweisen im täglichen Handeln. Dies betrifft den Vorsatz, mehr Sport zu machen, genauso wie die Einführung neuer Werte im Rahmen einer agilen Transformation: Mut, Vertrauen und Abgabe von Verantwortung lassen sich nur schwer von einem Tag auf den anderen praktizieren, wenn in der langjährigen Vergangenheit – teilweise über Jahrzehnte – ein anderes Verhalten als sinnvoll gelernt, tief im Unterbewusstsein verinnerlicht und durch die Organisationskultur verstärkt wurde. In Organisationen kommt den Change Enablern daher eine prominente Rolle zu: Um Veränderung zu erreichen, bedarf es einer Veränderung in Verhaltensweisen in der Breite, nicht nur ein kognitives Verstehen durch Briefings oder Townhalls. In agilen Transformationen sind daher zu Recht Scrum Master und Agile Coach als Rollen oder Funktionen geschaffen worden.
Die meisten Coaches – sowohl agile Coaches als auch Management- Coaches – agieren jedoch lediglich auf den Ebenen der fachlich-inhaltlichen Beratung oder des kognitiven Sparrings. In anderen Worten: langfristig stabile Verhaltensveränderung wird nicht bewirkt. Stattdessen folgt in der Regel einer Phase der intellektuellen Einsicht beim Gegenüber eine Phase des sukzessiven Rückfalls nach circa drei Monaten, in Stresssituationen häufig sogar schon früher. Erst wirksames Coaching eine Ebene höher („Coaching L3“) macht sich die Erkenntnisse moderner Hirnforschung zu Nutze und unterstützt Kollegen, verfestigte Verhaltensweisen zu lösen, Störgefühle zu beseitigen und dadurch nachhaltig neue Handlungsfreiheit im täglichen Agieren zu schaffen – also „Platz für neue, geeignete Verhaltensweisen“. Genau dies wird allerdings bei den meisten organisatorischen und persönlichen Veränderungsprozessen heute noch ignoriert. Neurowissenschaftlich und durch die Erfahrung belegt ist: Auch eine „Koalition der Willigen“ aus langjährigen Mitarbeitern ist nicht in der Lage, neues Verhalten, das der eigenen gelernten Praxis entgegensteht, in absehbarer Zeit ohne gezielte Unterstützung anzunehmen und durchgängig vorzuleben, da sie spätestens in Stresssituationen in altes Verhalten zurückfällt. Jeder Rückfall jedoch wird von der kritischen Mehrheit in der Regel genau beobachtet.

Den Change-Enablern Handwerkszeug zur Unterstützung von Verhaltensänderung geben

Die Abbildung unten zeigt im Überblick für die wichtigsten agilen Rollen das Ist- und Soll-Profil in Hinblick auf zentrale Fähigkeiten im hier verstandenen Sinne. Basis sind eine Vielzahl Gespräche und Beobachtungen in unterschiedlichen Unternehmen unterschiedlicher Branchen.
Im Kern lässt sich feststellen, dass in den meisten Unternehmen eine starke Fachlichkeit und agile Methodik zu Prozessen und Tools wie Scrum gefördert, die zentralen Veränderungsfähigkeiten für die konkrete Veränderung von Verhalten oder Zusammenarbeit von Individuen aber kaum bis gar nicht gezielt entwickelt werden. Provokant formuliert: Die agilen Coaches können gar nicht coachen! Dies ist ein sehr deutlicher Widerspruch zum ersten Prinzip des agilen Manifests „Menschen und Interaktionen vor Prozessen und Tools“. Eines der ersten Angebote, dies gezielt zu ändern, ist das aus der Erfahrung in der Commerzbank heraus zusammen mit der Steinbeis-Akademie entwickelte Programm der Ausbildung zum „agilen Facilitator“ (mehr dazu unter: www.cmq-consult.de/expertise/fortgeschrittene-agile-fuhrung/).

Veränderung durch Lernen und Erfahren

Die bisherigen Überlegungen haben auch Bedeutung für das innerbetriebliche Lernen. Moderne Lernplattformen ermöglichen eine breite Wissensvermittlung und dadurch Vermittlung zukunftsrelevanter Fähigkeiten. Sie geben Einblicke und Vergleiche und können damit Verhalten beeinflussen. Dabei darf jedoch erneut die neurowissenschaftliche Kernerkenntnis nicht vergessen werden, dass menschliche Verhaltensweisen nicht durch intellektuelle Prozesse, also kognitives Erkennen, sondern primär durch Erfahrung, also neurobiologisches Lernen, geprägt werden. Daher der dringende Appell für die Veränderung von Verhalten und neue Praktiken der Zusammenarbeit: Nutzung der modernen Lernplattformen, kombiniert in einem hybriden Ansatz mit persönlicher Erfahrung und individueller Begleitung.– Denn auch der gute Vorsatz, mehr Sport zu treiben, lässt sich nur in den wenigsten Fällen durch den Erwerb zusätzlichen Wissens langfristig stabil umsetzen.

* Aus Lesbarkeitsgründen wird hier die männliche Form verwendet. Wie auch an anderen Stellen ist die weibliche oder diverse Form hier explizit mit gemeint

 

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