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Agiles Arbeiten V2.0

Agiles Arbeiten 2.0: Wie agiles Arbeiten erfolgreich werden kann

Die Methode des agilen Arbeitens polarisiert. Auf der einen Seite stehen Startups und ein (wachsender) Kreis sich neuem gegenüber aufgeschlossen gebende traditioneller Unternehmen, auf der anderen Seite Unternehmen, welche die Idee der veränderten Führungsmodelle als für das eigene Geschäft ungeeignet betrachten. Unser Autor versöhnt die beiden Sichten durch den Blick auf die Hauptanpassungserfordernisse von Unternehmen. Zur Illustration vieler damit verbundener Kernherausforderungen greift er das Beispiel der Commerzbank AG, insbesondere der seit 2019 dort existierenden agilen Organisation, auf.

Von Dr. Karsten Engler, Rainer Wawrzik

[>> Thematisch weiterführend: Zusatzqualifikation Fortgeschrittene agile Führung]

Agiles Arbeiten und agile Führung sind auf den Weg in den Mainstream. Eine Reihe von Reorganisationen quer über alle Branchen setzen sich zum Ziel, Beweglichkeit und Reaktionsfähigkeit der Organisation auf diese Weise zu stärken.

Beim genaueren Hinsehen stellt man fest, dass die angesprochenen Unternehmen aus organisatorischer Sicht einen sehr unterschiedlichen Umsetzungsansatz für das agile Arbeiten wählen (vgl. Abbildung). Ausgangspunkt ist häufig die Anwendung agiler Methoden in IT-Projekten bzw. in interdisziplinärer Projektarbeit. Eine Verankerung der agilen Prinzipien und Rollen in organisatorische Strukturen – insbesondere in dauerhafte Stellen sowie Team- und Führungsbeziehungen – hat bislang erst der geringere Teil der Unternehmen vorgenommen. Die Commerzbank AG ist hier Teil einer Vorreitergruppe in Deutschland.

Unabhängig von einer agilen Ausbaustufe: Veränderung Arbeitsweise

Unabhängig von der Sicht auf agiles Arbeiten als Prinzip oder dem Grad der organisatorischen Umsetzung des agilen Arbeitens geht es nahezu allen Unternehmen in ihrer kulturell-organisatorischen Weiterentwicklung um Zeit und Innovation, d.h. das schnellere Agieren am Kunden sowie die Nutzung der gemeinsamen Intelligenz eines Teams („Co-Intelligenz“). Bill Gates soll einmal gesagt haben: „Um heute erfolgreich zu sein, muss man anpassungsfähig sein und ständig neu denken, neu beleben, reagieren und neu erfinden wollen“. Also: Im Mittelpunkt steht die geeignete Veränderung von Unternehmenskultur und Unternehmensphilosophie, nicht primär die Anwendung agiler Tools aus der Software-Entwicklung oder dem Produktmanagement.

Ausgehend von modernen Erkenntnissen junger, erfolgreicher Unternehmen (wie Morning Star aus Kalifornien, sipgate in Düsseldorf oder Zalando aus Berlin) sowie der Neurowissenschaft impliziert dies insbesondere unternehmenskulturelle Veränderungen insbesondere in Hinblick auf

* Horizontale Eigenkoordination statt hierarchischer Führung
* Selbstverantwortung des Einzelnen statt Aufgabenzuweisung und Hochdelegation von Entscheidungen
* Schnelle breite Verprobung („Fail fast“) von Produktideen am Kunden im Markt statt Entwicklung des „perfekten“ Produkts
* Führung als Unterstützung und Schnittstelle zum Kunden statt Steuerungs- und Entscheidungsknoten

Die genannten Punkte machen deutlich, dass es um eine sehr relevante Veränderung der Unternehmenskultur und damit des Mindsets von Mitarbeitern und (ehemaligen) Führungskräften geht.

Das Modell der Commerzbank: angepasstes Spotify-Modell

Die Commerzbank ist Mitte 2019 nach einer kurzen Pilotphase in einem „Big-Bang“-Ansatz in eine agile Struktur mit ca. 5.000 Mitarbeitern übergegangen. Ausgehend von den relevanten IT-Systemen wurden Teams („Cells“) von ca. 10 Mitarbeitern aus Fachbereichen und der Konzern-IT gebildet, gebündelt in Cluster von ca. 80 – 120 Mitarbeitern. Die zuvor eigenständige IT-Organisationseinheit sowie eine IT-Tochter wurden integriert. Es ergeben sich knapp 50 Cluster. Die Führung wurde fachlich an den Product-Owner je Team und disziplinarisch (je inhaltlicher Rolle und über Teams hinweg) an einen Chapter-Lead im Cluster gegeben. Die disziplinarische Führung wird im Cluster-Lead gebündelt.

Aus Gesamtsystem-Sicht stehen damit neben der IT-System-fokussierten agilen Organisation („Delivery-Organisation“) Fachabteilungen sowie Abwicklungs-Center sowie der Vertrieb, die selektiv und sukzessive ebenfalls agile Techniken übernommen haben.

„Führung 3. Ordnung“ als Teamaufgabe in der Commerzbank

Durch Trennung von fachlicher von disziplinarischer Führung sowie den hohen Stellenwert der Eigenverantwortung einerseits sowie Unterstützung durch Scrum Master und Agile Coaches andererseits wird die Führung im Commerzbank-Modell auf eine Vielzahl Schultern im Team und darüber hinaus dezentralisiert und horizontal verteilt.

Diese Art moderner Führung orientiert sich an drei Zielen:

* Klare Definition von Rollen und Prozessen im Sinne agiler Rollen, Events und Artefakte
* Erhalt und Nutzung der Kreativität und des Engagements des Einzelnen
* Förderung und Nutzung der Co-Intelligenz durch Teamzusammenarbeit

Dem Scrum Master kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Er hat insbesondere das erste Ziel „technisch“ sicherzustellen. Deutlich herausfordernder sind die anderen beiden Ziele, da das zweite Ziel bereits eine Veränderung zur historischen Verhaltensweise des Blicks zur Führungskraft bei Entscheidung und Übernahme von Aufgaben darstellt. Die kritisch-produktive Zusammenarbeit auf Augenhöhe im Sinne des dritten Ziels fällt den Commerzbank-Mitarbeitern mit Projekterfahrung am leichtesten. In anderen Teams kommt oftmals dem Agile Coach die Rolle der Förderung von Teamentstehungsprozessen zu. Es ist zu beobachten, dass diejenigen Agile Coaches mit einem stärker verhaltensorientierten statt verfahrenstechnischen Qualifikation im Vorteil bei ihrer Wirksamkeit sind.

Die „Quick-Win-Falle“

Aus der Beobachtung der knapp 50 Commerzbank-Cluster über die Zeit sowie aus Gesprächen mit Unternehmen unterschiedlicher Branchen lässt sich ein interessantes Muster bei der Einführung agiler Prinzipien feststellen (vgl. Abbildung).

Dies zeichnet sich dadurch aus, dass der erste Schritt der Einführung – die Vermittlung der agilen Techniken sowie die Gewinnung entsprechender Sicherheit – relativ schnell erfolgt. Dann aber verlangsamt sich häufig – zur Enttäuschung der Verantwortlichen – die positive Entwicklung. Der Hintergrund ist, dass die Organisation an einen Punkt kommt, an dem der tiefergehende kulturelle Wandel erfolgen muss, um die nächste Entwicklungsstufe zu erreichen.

Dabei lehrt die Erfahrung aber auch, dass die nächste Stufe keine automatisch erreichte Stufe ist. Eine Begleitung durch Förderung von Wiederholung oder Ermahnung kann hilfreich sein, dauert aber sehr lange und erreicht – gerade bei langer individuell abweichender Erfahrung – nur einen Teil der Mitarbeiter. Vielfach wird der Mindset nicht verändert. Der eine oder andere Mitarbeiter wartet dann im negativsten Fall eher darauf, dass auch „diese Mode“ vorübergeht. Daher braucht es zusätzliches Handwerkzeug auf Seiten der Führungskräfte sowie der agilen Unterstützungsrollen, um eine wirksame Rolle als „agiler Facilitator“ einnehmen zu können. Hier geht es um wirksame Veränderung von Überzeugungen, die Stärkung von Konfliktkompetenz sowie einen klaren Fokus auf Erfolgsfaktoren und Hebel für erfolgreiche horizontale Führung.

Aus welchem Grund braucht es zusätzliche Instrumente der Begleitung? Beobachtungen zeigen, dass zum einen die meisten methodischen Begleiter aus Coaching-Sicht eher mit „sprachlichen Interventionen“ arbeiten. Diese haben in der Praxis nur sehr begrenzte Wirkung auf die Veränderung von Mindsets. Zudem gibt es häufig eine sehr große Lücke zwischen den im Unternehmen vorhandenen persönlichen Merkmalen und den für die agile Arbeit hilfreichen Merkmalen.

Alte „Farbenlehre“ wird jetzt zur Herausforderung

Aus der Beobachtung agiler Teams sowie Workshops in und außerhalb der Commerzbank lassen sich drei neuralgische Persönlichkeitselemente herausstellen, die den Grad der notwendigen Mindset-Veränderung in einem Team definieren helfen (Abbildung unten). Hier sollen die Begriffe „Mut“, „Resilienz“ und „Kompetenz“ in dem in der Abbildung umrissenen Verständnis hervorgehoben werden.

Viele Unternehmen traditioneller Prägung – und dazu zählt auch die Commerzbank – haben einen hohen Anteil Menschen im Backoffice-Bereich, die im sog. „DISG-Modell“ der Persönlichkeitstypen eher gewissenhafte, als Führungskraft tendenziell dominante Persönlichkeitsmerkmale aufweisen. Diese Menschen bringen in der Regel höchstens für eine der drei genannten Merkmale eine vorteilhafte Prägung mit. Dies bedeutet, dass der Veränderungsbedarf in Bezug auf Mindsets sehr hoch ist.

Zwei Themen geben oftmals schnell Auskunft darüber, wie weit die kulturelle Entwicklung in der Organisation ist:

* Wie lange dauert es, bis ein MVP tatsächlich im Markt beim Kunden ist?
* Wie flexibel ist die gewählte Teamstruktur, wenn die Themen eines Teams deutlich höher als die eines anderen priorisiert werden? Findet dann neben der Priorisierung auch eine Umverteilung von Fachkräften zwischen Teams – bis hin zur Auflösung eines Teams – statt?

Weiterentwicklung der Umsetzung in der Commerzbank

Die Commerzbank trägt den in obiger Abbildung genannten Merkmalen Rechnung, indem sie vor ca. einem Jahr den Wert „Mut“ als Commerzbank-Wert in den Kanon der bestehenden Werte prominent aufgenommen hat. Damit wird auch kulturell ein Signal gesetzt.

Zusätzlich stärkt sie die kulturellen Veränderungsprozesse durch kontinuierlich weitere Ausbildung von Agile Coaches, die auf Ebene der Cluster die Veränderungsprozesse begleiten. Ziel ist eine stärkere 1:1 Betreuung von Agile Coach zu Cluster. Gleiches gilt für die Scrum Master, die noch stärker den Teams bei der täglichen Routine helfen sollen.

Hinzu kommen einzelne Best Practices, die sich „horizontal“ in der Organisation weiterentwickeln. Dazu zählt nach meiner Beobachtung auch der Einsatz fortgeschrittener Teamentwicklungsmethoden des Coachings wie das Logical Level Alignment, bei dem sich das Team im Laufe von 2 Tagen intensiv zu individuellen und dann gemeinsamen Vorstellungen zu Vision, Mission und vor allem auch Werten austauscht und vereinbart.

Die Effizienz der Gesamtorganisation entscheidet sich auch an den jeweiligen organisatorischen Schnittstellen. Daher geht die Bank erste Schritte in Richtung eines vollintegrierten Modells. Dies beinhaltet die zunehmende Einbeziehung auch strategischer Initiativen außerhalb der Delivery Organisation in agile Planungs- und Priorisierungsformate. Dadurch wird sichergestellt, dass eine Gesamtverzahnung stattfindet, die sonst aufgrund unterschiedlicher Planungszyklen und -vorgehen erschwert wäre. Unterstützt werden diese integrativen Aktivitäten auch durch übergreifend tätige „Road Manager“, die Clusterübergreifend oder konzernweite Projekte koordinieren und zunehmend entsprechende, clusterweit agierende Projektexperten innerhalb der Cluster als Ansprechpartner haben.

Diversität nutzbar machen

Agiles Arbeiten ist ab der Stufe der interdisziplinären Teams eine Form der bestmöglichen Nutzung von Diversität. Diversität erhöht gleichzeitig aber die Komplexität und damit die Anforderungen an die Führung Dritter Ordnung.

Wichtig ist daher für den Unternehmenserfolg nicht nur die Erhöhung der Diversität, sondern auch die Stärkung der Diversitätskompetenz, also der Fähigkeit, mit der Vielfalt an Persönlichkeiten und damit Prägungen, Sichtweisen bzw. Bedürfnissen und Interessen gewinnbringend umgehen zu können. Auch hier setzt der Agile Facilitator mit Instrumenten des Coachings sowie der mediativen Interessenintegration im Team an – damit Vielfalt nicht nur eine Kennzahl bleibt, sondern sich auch in positiven Ergebnissen wiederspiegelt. Was Agilität also braucht, damit sie den gewünschten „kalifornischen“ Erfolg auch hier erzielt, sind Menschen, die coachen und mediieren können!

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Keywords:
Agile Structure, Agile Leadership

 

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